Wie wird KI die Steuerberatung verändern? Michel Braun von WTS-Gruppe erklärt, wie KI die tägliche Arbeit erleichtert, neue Karrierechancen schafft und die Zukunft des Berufsbildes beeinflusst.
Der klassische Anwendungsfall für KI in der Steuerberatung steckt entgegen landläufiger Annahme nicht nur in etwas ganz Großem – sondern sehr oft in der alltäglichen Arbeitserleichterung. Das meint zumindest Michel Braun, Partner und Chief AI Officer der WTS-Gruppe. Er muss es wissen, schließlich hat er jüngst nicht nur eine Studie zu dem Thema initiiert, sondern über das Joint Venture WTS PSP AI auch an der Entwicklung einer umfassenden KI-Lösung für den Einsatz im Steuerbereich mitgewirkt, die im Laufe des Jahres 2024 auf den Markt kommen wird. Ganz nebenbei führt KI auch zu neuen Karrierechancen – durch Ressourcengewinne und eine Rückverlagerung des Fokus auf den Menschen.
Tax Talents: Herr Braun, wo sehen Sie aktuell die Einsatzfelder von KI in der Steuerberatung?
Michel Braun: Tatsächlich vor allem im täglichen Doing, zum Beispiel in der Beantwortung einer E-Mail in einer anderen Struktur. Das haben viele bereits gemerkt, die mit Sprachmodellen experimentiert und sich die Arbeit erleichtert haben. Im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen der Branche ist aber zentral, für Datenschutz und Verlässlichkeit des steuerlichen Wissens im Hintergrund zu sorgen. Davon haben wir uns in der Gestaltung unserer Lösung leiten lassen.
Worum geht es dabei genau?
Michel Braun: Wir haben für den ' AI Playground' einen geschützten, geschlossenen Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die KI auf steuerliche Informationen zugreift und mit denen sie interagiert – und nicht etwa nur mit den im Sprachmodell vorhandenen Daten. Das sorgt für den notwendigen Datenschutz und verhindert das Halluzinieren bei den Ergebnissen, was sich mittlerweile in der Breite bei den Sprachmodellen als Problem herauskristallisiert hat. Auf dieser Basis haben wir die KI nach den Anwendungsbereichen des Nutzers strukturiert. So gibt es vier verschiedene Assistenten: den ‚Daily Assistant‘, den ‚Tax Assistant‘, den ‚Prompting Assistant‘ und ‚My Assistant‘.
Was kann KI jeweils in diesen Bereichen leisten?
Michel Braun: Im ‚Daily Assistant‘-Bereich finden sich Tools etwa für eine Dokumentenzusammenfassung oder eben die bekannte Chatfunktion für allgemeine Fragen, außerdem gibt es eine intelligente Grammatikprüfung oder die Möglichkeit, sich Videos zusammenfassen zu lassen. Der ‚Tax Assistent‘ greift im Wesentlichen auf steuerliche Datenbanken zu und ermöglicht damit den Chat respektive die Bewertung steuerlicher Sachverhalte. Mit diesen Daten lassen sich aber auch zum Beispiel eine Präsentation zum Thema "Verrechnungspreise in Finnland" mit Quellenangaben in wenigen Augenblicken erstellen, wenn Sie das für irgendetwas benötigen.
Im ‚Prompting Assistant‘ finden Sie in hierarchisch geordneten Auswahlmenüs eine Struktur für passgenaues Prompting, im Grunde das, was Sie sonst in Prompting-Seminaren erst lernen müssen. ‚My Assistant‘ erlaubt zum Beispiel Chats mit umfangreicheren PDFs – also etwa einer Steuerrichtlinie in Unternehmen, aus der ich schnell eine spezifische Information brauche.
Wie wird das die Arbeit in der Steuerkanzlei künftig verändern?
Michel Braun: In zweierlei Hinsicht: Auf der einen Seite gewinnen wir alle durch diese Tools Zeit, um beim letzten Beispiel zu bleiben: Standardanfragen von Mandanten etwa im Bereich Lohnsteuer können dann diese Systeme übernehmen, was den Berater in einem erheblichen Maße unterstützt. Das schraubt in gewisser Weise die Anforderungen im Low Level-Bereich herunter. Auf der anderen Seite kommen aber auch neue Herausforderungen, etwa der exakte und bewusste Umgang mit Sprache, um die Tools nutzen zu können. Und auch das Datenmanagement als solches bleibt bei KI nicht nur wichtig, sondern wird sogar zum zentralen Faktor.
Die Entwicklung von KI ist mit den Sprachmodellen ja nicht an ihrem Ende angekommen. Welche Entwicklungsstufen stehen Sie?
Michel Braun: In dem ersten Schritt, den wir jetzt vollzogen haben, nehmen wir Erkenntnisse aus Dokumenten, im zweiten geht es darum, über Dokumente hinweg Widersprüche aufzudecken, im dritten dann schließlich werden die Lücken entsprechend gefüllt.
Im Moment bewegt sich das alles noch im geschlossenen Ökosystem 'Kanzlei' – wie beurteilen Sie die KI-gestützte Interaktion von Kanzlei-, Mandanten- und Verwaltungssystem?
Michel Braun: Die wird zweifelsohne kommen, wir sehen das ja heute schon bei Unternehmen wie BMW oder Klarna, die ihre Shared Service-Center weitgehend abgebaut haben und Kundenservice über Bots erledigen lassen. Das wird auch die Zukunft in der Steuerkanzlei vergleichbar möglich sein. Im Extremfall tauscht sich dann vielleicht die Berater-KI mit der Finanzverwaltungs-KI über die Differenzen von Bescheid und Erklärung aus – dass jemand irgendetwas zu irgendeinem Zeitpunkt dann noch freigeben muss, ist vor allen Dingen eine politische Frage, aber nicht zwangsläufig eine der Qualität.
Steuerberatung als Berufsfeld wird also in Teilen überflüssig?
Michel Braun: Wir könnten heute schon jede Steuererklärung in Elster vorbereiten lassen – wenn wir das denn wollten. Und auch an maschinenlesbaren Gesetzen wird gearbeitet. Die Frage ist aber nicht nur, was technologisch möglich ist, sondern auch, was politisch gewollt ist. Die Beratung wird sich verlagern, die Aufgaben werden andere – aber es wird immer interessante Berufsbilder geben.
Wenn also der CFO künftig zu Ihnen kommt und wissen will, wie sich denn eine bestimmte Akquisition auswirken würde, dann können Sie das über einen beliebigen Zeitraum in jeder gewünschten Tiefe simulieren. Bleiben wir im Bereich M&A: Hier lassen sich große Datenräume schaffen, aus denen dann wieder jede gewünschte Detailinformation sehr schnell gewonnen werden kann, etwa wie die Marge eines bestimmten Produkts in einem bestimmten Markt in Relation zu anderen Produkten.
Was bedeutet das für diejenigen, die heute am Anfang ihrer Karriere stehen?
Michel Braun: Wer sich dem Thema KI nicht ernsthaft stellt, verpasst eine wesentliche Entwicklung in der Branche. Aber gerade für Einsteiger ist das meiner Wahrnehmung nach überhaupt keine Frage, denn sie benutzen bereits verfügbare Tools im Studium. Wesentlich ist aber nicht nur, die Kompetenz erstmals herauszubilden, sondern sie auch berufsspezifisch zu pflegen. Und dabei ist im Moment vermutlich die zentrale Herausforderung, eine Kanzlei zu finden, in der dies unmittelbar möglich ist. Künftig wird nach meiner Einschätzung der Beruf des Steuerberaters näher am Menschen agieren denn je – und nicht länger Zeit der Loseblattsammlung widmen.
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