Was das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verändern wird

Worauf muss geachtet werden?
Computertastatur hat eine blaue Taste mit einem Rollstuhl als Symbol für die Barrierefreiheit

Drei Jahre und elf Monate hatte es seit dem Beschluss gedauert, ehe das neue BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) in Kraft getreten ist. Dementsprechend gilt es seit Juni 2025 und hat viele Veränderungen mit an Bord. Wir werfen einen Blick auf alle Neuheiten und worauf es nun sowohl für Arbeitnehmende als auch für Arbeitgebende ankommt.

Die Richtlinie – auch als European Accessibility Act (EAA) bekannt – gilt als Grundlage für das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Deutschland. Mit einer nachträglichen Änderung im Mai 2024 wurde es im Juni 2025 offiziell umgesetzt.

Konkret heißt dies: betroffene Produkte und digitale Dienstleistungen müssen barrierefrei bereitgestellt werden, sie müssen ohne fremde Hilfe auffindbar und nutzbar sein. Ganz so einfach wie es jetzt klingen mag, ist es jedoch nicht. Auch wenn die gesetzlichen Vorgaben an sich bereits seit langer Zeit bestehen und sich nur stetig verändert haben, so gibt es doch immer wieder neue Hürden, die es zu überspringen gilt.

1. Barrierefreiheit im Web – was bedeutet das eigentlich?

Die „Richtlinien für barrierefreie Webinhalte“ oder im Fachbegriff: Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) gibt es bereits seit 1999. Seither wurden sie durch das WCAG 2.0 (Dezember 2008), das WCAG 2.1 (Juni 2018) und das WCAG 2.2 (Oktober 2023) stetig aktualisiert und weiterentwickelt. Sie sind zugleich der Ursprung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz.

Die Idee hinter den WCAG war von Anfang an, weltweit einheitliche Richtlinien zu schaffen, damit Menschen mit Behinderungen gleichermaßen Zugang zu Webinhalten haben – unabhängig von Land, Technologie oder Behinderungstyp. Hierbei geht es um das POUR-Prinzip: Perceivable (Wahrnehmbar), Operable (Bedienbar), Understandable (Verständlich) und Robust (Robust).

Zu 100 Prozent lässt sich all dies jedoch nicht umsetzen, das hat unter anderem folgende Gründe:

  • Menschen mit einer Behinderung haben in der Regel höchst unterschiedliche Bedürfnisse, die je nach Grad der Behinderung dementsprechend nicht einheitlich für alle umgesetzt werden können.
  • Jeder Test zur Barrierefreiheit kann ausschließlich eine Momentaufnahme sein. Denn bewertet wird, was zu dem Zeitpunkt angeboten und zu dem Zeitpunkt als barrierefrei gilt.
  • Woher weiß man, ob das digitale Angebot in den Anwendungsbereich des BFSG fällt?

2. Sind Kanzleien typischerweise betroffen?

Kurz gesagt: in der Regel nicht! Wenn eure Kanzlei keine Möglichkeit zur digitalen Vertragsschließung anbietet, hat das Gesetz keine direkten Auswirkungen auf euch – zumindest bisher nicht.

Erst eine direkte Buchung, die zu einem Vertrag führt und sofort mit Kosten verbunden ist, führt zur Greifbarkeit des BFSG. Denn ab diesem Moment gilt man als Plattform für digitale Dienstleistungen und nicht mehr ausschließlich als Website, die zur reinen Information dient.

3. Für wen gilt das Gesetz?

BetroffenNicht betroffen
Online-Shops und digitale MarktplätzeWebseiten, die nur zur Information dienen
Websites, die Buchungs-, Bestell- oder Zahlungsfunktionen anbietenAngebote, die sich nur an Geschäftskunden (B2B) richten
Anbieter von Software, E-Books, Online-Banking-Lösungen oder anderen digitalen ProduktenWebseiten, die lediglich eine Kontaktaufnahme ermöglichen, ohne dass direkt online ein Vertrag abgeschlossen wird
Hersteller von Hardware mit digitalen Elementen (z. B. Smartphones, Tablets, E-Book-Reader)Digitale Dienstleistungen, die vor dem 28.6.25 schon Bestand hatten und sich nicht verändert haben

4. Praktische Compliance-Checkliste für Ihre Steuerkanzlei

Eine gute Vorbereitung ist jetzt alles. Wir haben hier eine kurzfristige, mittelfristige und langfristige Checkliste im Gepäck, damit ihr für die neuen Maßnahmen des BFSG bestens gewappnet seid:

Kurzfristig (1-3 Monate):

  • Prioritätenliste: Mandantenrelevante Seiten/Prozesse zuerst (z.B. Formulare oder PDF-Mandanteninfo)
  • PDFs & Dokumente: Prüfen und gegebenenfalls neu erzeugen als zugängliche PDFs (strukturierte Tags, lesbare Texte, Alternativ-Texte für Bilder)
  • Mitarbeitenden-Schulung: Sensibilisierung, Umgang mit Menschen mit Behinderung, einfache Maßnahmen (zum Beispiel Telefonnummer für Hilfe und Ansprechpartner)

Mittelfristig (3-12 Monate):

  • Technische Nachsorge: Agentur/Web-Dienstleister beauftragen, Nachbesserungen umsetzen (WCAG-Konformität, mobile Zugänglichkeit)
  • Barrierefreiheits-Audit: Ggf. durch anerkannte Prüfer, Einbezug von Betroffenen/Behindertenverbänden, um alles konform umzusetzen

Langfristig:

  • Fortlaufende Betreuung: Accessibility-Plan (Monitoring, Update-Zyklen bei Website-Änderungen), Dokumentation der Maßnahmen, Ansprechpartner benennen
  • Fördermittel prüfen: Integrationsamt / Agentur für Arbeit / Landesförderprogramme für Arbeitsplatzanpassungen beziehungsweise barrierefreie Umbaumaßnahmen

5. Mögliche Stolpersteine

Natürlich bringt so ein Gesetz auch diverse Stolpersteine und Strafen mit sich, vor denen es aufzupassen gilt. Dazu gehören zum Beispiel Abmahnungen und Bußgelder, die fällig werden, wenn nicht barrierefreie digitale Angebote geschaltet werden. Dies hängt häufig mit einer fehlerhaften Risikoeinschätzung zusammen, gerade kleine Kanzleien könnten zum Gedanken verfallen, dass sie aufgrund ihrer Größe ohnehin nicht vom Gesetz betroffen sind.

6. Konkrete Empfehlungen

Aus allem ableitend lassen sich dabei die folgenden Schritte kurz zusammengefasst als nötig erweisen, um Bußgeldern oder anderen Strafen aus dem Weg zu gehen:

  • Prüfen, ob BFSG Sie in Bezug auf Ihre Website/Online-Dienste trifft (Verbraucherbezug)
  • Sofort-Audit digital (automatisiert + manueller Screenreader-Test) dokumentieren
  • PDFs & Mandantendokumente auf Zugänglichkeit bringen (strukt. Tags, Schriftgrößen, Alternativtexte)
  • Langfristig: Barrierefreiheits-Plan, Budget für Technik/Umbau, Mitarbeiterschulung, Test mit Menschen mit Behinderung

Eine Barrierefreiheits-Erklärung ist dabei natürlich auch nicht zu vergessen, wenn die Kanzlei denn als barrierefrei gilt. Hier eine beispielhafte Formulierung:

,,Unsere Website ist nach den gültigen Anforderungen zur Barrierefreiheit gestaltet. Falls Sie dennoch Barrieren finden, kontaktieren Sie uns bitte unter [Telefon/E-Mail]. Wir bemühen uns um eine zügige, barrierefreie Bereitstellung der Inhalte.“ (anschließend konkrete Ansprechpartner und/oder Fristen nennen) — gesetzlich empfohlen.

7. Barrierefreiheit ist ein elementarer Teil des Miteinanders

Was jetzt erstmal wie eine weitere Aufgabe klingt, ist fundamental für das Miteinander in unserer Gesellschaft. In Europa leben ungefähr 101 Millionen Erwachsene mit einer Form einer Behinderung (27 Prozent), in Deutschland sind es circa 9,3 Millionen (7,9 Prozent) mit schwerer Behinderung. 

Darüber hinaus nutzen 78,6 Prozent der Menschen mit schwerer Behinderung das Internet und 86 Prozent derer mit leichter Behinderung. Das zeigt deutlich auf: nicht nur im echten Leben ist Barrierefreiheit ein wichtiger Baustein, auch im Internet ist sie essenziell für ein einfacheres und besseres Miteinander.

Quellen: Eurostat, European Council & Statistisches Bundesamt

8. Fazit

Das Barrierefreiheitsgesetz wird für immer im Wandel bleiben, damit das Leben für Menschen mit Behinderungen jeglicher Form so einfach wie möglich gemacht werden kann. Sowohl im normalen Leben außerhalb der Technologie als auch digital – in beiden Aspekten sind viele Schritte nötig.

Was erstmal nach viel Arbeit im Jetzt und der Zukunft klingt, ist letztlich gar nicht so viel. Vor allem ist es aber eins: von hoher Bedeutung für die Gesellschaft. Auch deswegen wird die Richtlinie WCAG 2.2 nicht die Letzte bleiben. WCAG 3.0 befindet sich bereits in Arbeit und wird umfassender und noch flexibler sein.

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